// Ein Gespräch über den Film „Dance Fight Love Die“ von Asteris Kutulas //
Eigentlich wollte Mikis Theodorakis im vergangenen Jahr zu den Internationalen Filmtagen nach Hof kommen. Wie so oft zuletzt machte dem zweiundneunzigjährigen Komponisten sein Gesundheitszustand einen Strich durch die Rechnung. In Hof zeigte sein langjähriger Freund und Vertrauter, der deutsch-griechische Autor und Regisseur Asteris Kutulas, den Film „Dance Fight Love Die – With Mikis on the Road“. Wir besuchten Theodorakis nun in Athen.
Der Film, den Asteris Kutulas aus dreißig Jahren Ihres Lebens extrahiert hat, ist das cineastische Werk eines Freundes. Erkennen Sie sich gut wieder?
Ich erkenne einen Teil von mir wieder, vor allem den musikalischen. Ich fand viel über meine Beziehungen zu anderen Menschen, zu den Kollegen und Freunden. Kurz: Meine Beziehungen zu den anderen erscheinen in einem milden, freundlichen und einfachen Licht. Es taucht im Film allerdings auch der andere Mikis auf – jener Patriot und Kämpfer in einer Gesellschaft, in der oft Fanatismus, Maß, Zorn, Enttäuschung und große Wut meinen eigentlichen Charakter und mein natürliches Verhalten verfälschten. In solchen Phasen konnte ich ungehalten werden, sogar schlecht sein und sicher auch ungerecht, weil der Fanatismus zu Taten hinreißt, die die Grenzen des Ichs überschreiten. Man wird ein anderer …
Der Film sei „aus dem Geist der Musik “ entstanden, sagt der Regisseur. Was hat in Ihrem Leben diesen Geist befördert?
Es ist so, dass ich mich seit 1940 zwischen gesellschaftspolitischem Engagement und der Kunst der Musik bewegte – am Ende war es die Musik, die mir mehr Freude machte. Philosophisch gesprochen: Ich denke, unter den in dieser Welt vorherrschenden Gegensätzen, die einerseits Harmonie und andererseits Chaos kennzeichnen, ist Musik das, was sich mit Harmonie deckt. Ich gestehe daher, dass das Leben es gut gemeint hat mit mir.
Als Komponist und Musiker haben Sie Ihr Leben lang nach Harmonie gesucht – und das in einem Jahrhundert voller Chaos und Dissonanz. Musik ist aber nicht nur Spielen oder stilles Zuhören. Sie ist auch Kommunikation zwischen Musikern und Publikum. Was haben Tonträger – vom Grammophon bis zum iPod – an dieser speziellen, bisweilen amourösen Beziehung verändert?
Normalerweise dürfte das eine das andere nicht behindern. Das kapitalistische System allerdings, in dem persönlicher Gewinn der Maßstab ist, hat die Menschheit an einen gefährlichen Abgrund geführt. Und einer der Gründe dafür ist, dass das System einfache menschliche Beziehungen zerstört – darunter jenen kreativen Kontakt, der im „Sein und Werden“ der Livemusik entsteht. Das sind reine, erotische Beziehungen.
Wie beschreiben Sie Ihre Beziehung zu Asteris Kutulas, den Sie in der DDR kennengelernt haben, als Sohn einer nach dem Krieg ins politische Exil geflüchteten Familie aus Athen?
Vollkommen familiär.
Würden Sie sich einen Film über den Widerstandskämpfer, Politiker, den Bürger Theodorakis wünschen?
Dass es einen solchen Film gäbe, wünsche ich mir nicht so sehr für mich selbst, sondern für mein Heimatland, das im Wesentlichen unbekannt und missachtet ist im internationalen Raum. Wie viele Filme sind gedreht worden, in denen das Leben, die Errungenschaften und die Kämpfe der privilegierten Völker gezeigt wurden. Und wenn ausnahmsweise Völker der »Kategorie B“ wie Araber, Afrikaner, Balkanbewohner – ich nenne hier als Beispiel den Film »Lawrence von Arabien“ – ins Spiel kommen, dann nicht, weil die Errungenschaften und das Leben dieser Menschen gezeigt werden sollen, sondern um die „Überlegenheit“ der privilegierten Länder im Vergleich zu den sogenannten Entwicklungsländern zu verdeutlichen. Griechenland hat eine in jeder Hinsicht reiche moderne Geschichte. In meinem Fall bietet sie – außer der „Waffe“ Musik – auch die unvergleichlichen Kämpfe um Freiheit und Demokratie. Der Film „Alexis Zorbas“ zum Beispiel zeigt nur eine Facette der nationalen Wesensart, und schauen Sie, was bis heute mit meinem „Tanz des Zorba“, also dem Sirtaki, in jedem Winkel dieser Welt geschieht, mit der erstaunlichen und rührenden Teilnahme einfacher Menschen auf den Straßen und Plätzen. In der Tat würde ich sagen, dass dieser Tanz die „Überlegenheit“ der neugriechischen Kultur beweist: indem er die Menschen dazu bringt, aufrecht, voller Freude und untergehakt zu tanzen – im Gegensatz zu den Modetänzen, die aus einem Imperialismus entstehen, der uns gebückt, depressiv und zerrissen haben will. Der Kern Griechenlands ist die Harmonie, und der bleibende Beweis dafür ist und war schon immer das Wesen der Schönheit.
Im Film ist auch Ihre Lebensgefährtin Myrto zu sehen. Sie war Ärztin und hat ihre wissenschaftliche Begabung der Rolle als Ehefrau geopfert. Hatten Sie deswegen ein schlechtes Gewissen?
Myrto ist für mich die große Liebe und der große Schmerz. Ich weiß, dass sie ihre Träume für mich und die Kinder geopfert hat.
Im Film lässt Asteris Kutulas einige Szenen aus Ihrer bisweilen sehr mystischen Autobiographie „Die Wege des Erzengels“ nachspielen. Das junge Paar, dessen Liebe am Ende zu scheitern scheint – wie würden Sie diese Szenen den Lesern Ihrer Biographie und dem Filmpublikum enträtseln?
Der Mythos ist die dritte Seite meines Ichs. Das Geheimnisvolle. Und wir werden Phantasmen nun mal so zeigen müssen, wie sie sind. Ohne logische Erklärungen. Denn da, wo das Phantastische beginnt, endet die Logik.
Eine Frage zur Tagespolitik: Kürzlich haben Sie wieder eine „Volksfront“ gegen die europäische, die finanzpolitische Unterwerfung Ihres Landes gefordert. Wie könnte dieser Widerstand aussehen? Wollen Sie selbst als Zweiundneun-zigjähriger noch eingreifen?
Das ist nunmehr Vergangenheit Denn unter Anwendimg der Rezepte der extremen politischen Rechten übertraf eine sogenannte linke Regierung sogar die Politik des shock and awe, mit der der Internationale Währungsfonds den Willen und die Wünsche des Volkes zerstört hat. In Griechenland existiert gegenwärtig nicht einmal die Spur eines Volkes. Den Griechen ist schwindelig geworden, sie haben sich hingelegt. Wer weiß schon, wie und wann sie es schaffen werden, wieder aufrecht auf beiden Füßen zu stehen. Wen soll ich also rufen? Die Liegenden?
Die Fragen stellte Hansgeorg Hermann.
(Photo with Mikis Theodorakis & Asteris Kutulas, Leipzig 1983.)
Das Interview erschien in der Druckausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im November 2017.
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