„Gefilmte Geschichte“ – Filmkritik von Hansgeorg Hermann (Junge Welt)

// Von Hansgeorg Hermann für die Tageszeitung „Junge Welt“ //

In einer Szene zu Beginn des Dokumentarfilms »Dance Fight Love Die« wirft Mikis Theodorakis bei einer Veranstaltung seinen Gehstock weg, breitet die Arme aus und lacht: »Eimai eleftheros!« (»Ich bin frei«) Der 92jährige ist jung in diesem Moment, er überrascht wohl auch seinen Freund und Weggefährten Asteris Kutulas, der die Kamera hält und den Film mit seiner Frau Ina gemacht hat. Ende Oktober war bei den Hofer Filmtagen Weltpremiere.

Für Überraschungen war der geniale Komponist immer gut, auch als Sänger und Politiker. Kutulas hat ihn in den vergangenen 30 Jahren begleitet, die Handkamera immer dabei. Aus vielen tausend Filmmetern von hundert Drehorten auf vier Kontinenten hat er sein neues Werk zusammengeschnitten. Kutulas liebt das Ballett. Und so ist dieses gefilmte Leben des väterlichen Freundes ein Ballett in vielen Akten. Ein Tanz eher als ein Gang durch die Zeit, wie auch der Titel andeutet.

Gegen familiäre Szenen, die Theodorakis selbst als »milde und freundlich« empfindet, werden marschierende Stiefel geschnitten, schwarze Uniformen, Sturmhelme. Niederknüppelung einer Demo gegen europäische Austeritätspolitik. Mittendrin der Komponist und sein 93 Jahre alter Gefährte Manolis Glezos, der einst die Hakenkreuzfahne der Besatzer von der Akropolis riss und sie durch die griechische ersetzte. Theodorakis im Rollstuhl, wegen des Tränengases mit Gasmaske, wie er immer wieder versucht aufzustehen und es nicht schafft.

Kutulas war lange Mikis’ Mann in der DDR. Dass er dort aufwuchs und nicht in Athen – auch das ist griechische Geschichte. Sein Vater war ein Mann aus der ersten Reihe jener Kommunisten, die erst die Wehrmacht aus dem Land getrieben und dann den Bürgerkrieg gegen Monarchisten und rechtskonservative Getreue des britischen Empire verloren hatten. Wer nicht Verfolgung, Umerziehung und Gefängnisinseln riskieren wollte, ging ins Exil. In Ostberlin wurde Kutulas Theodorakis’ Impresario, dort nahm der große Grieche seine Musik auf, weil er in Athen kein Studio hatte, und ließ sich Konzertauftritte in kubanischen Zigarren bezahlen.

Kutulas’ Film ist also viel mehr als ein »Biopic«. Aus der Musik des Komponisten heraus erzählt er griechische Geschichte. Am Leben dieses musikalischen wie körperlichen Riesen beschreibt er, was es bedeutet, Grieche zu sein. Dazu gehören Theodorakis’ Konzerte in Mauthausen und Dachau, wo er mit Sängerin Maria Farantouri auftrat und ein für alle mal bewiesen haben sollte, dass der immer wieder erhobene Vorwurf, er sei wie viele seiner Landsleute »Antisemit«, lächerlich und traurig zugleich ist.

Hansgeorg Hermann

Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/322626.gefilmte-geschichte.html

(Photo: Mikis Theodorakis mit Mit-Gefangenen im Oropos-Gefängnis, Frühjahr 1970)

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