// Eine Film-Kritik von Michael Pilz für die WELT //
Der Komponist Mikis Theodorakis, 92, prägt unser Griechenland seit Jahrzehnten. Seine „Sorbas“-Melodie kennt jedes Kind. Nun zeigt eine Kino-Doku den lustigen Anarchisten hinter der politischen Musik.
Nach allem sind die Menschen sich noch immer uneins, worin rechts und links sich unterscheiden. Stehen Menschenfreunde links und Misanthropen rechts? Wo stünde Marx 2018, im Karl-Marx-Jahr? Was macht eigentlich Mikis Theodorakis?
Mikis Theodorakis sitzt in seinem eigenen Film „Dance Fight Love Die – With Mikis Theodorakis on the Road“ und sagt: Die Welt wäre ohne den Menschen eine bessere. Als Kind, erzählt er, sah er ständig zu den Sternen und wollte mit allem eins werden. „Diese vollkommene Harmonie habe ich zwischen Menschen nie gefunden.“ Mikis Theodorakis wurde, wie wir wissen, Musiker, einer der wirkmächtigsten überhaupt. Im Sommer wird er 93 Jahre alt.
Im Film von Asteris Kutulas, einem sächsischen Exilgriechen, reist er in 30 Jahren um die Welt. Kutulas war mit seiner Videokamera dabei, wenn sich der vielleicht größte lebende Grieche in der DDR einfand, wenn „Axion Esti“ in Südafrika zu dirigieren war und wo auch immer die „Ballade von Mauthausen“ vorgetragen werden musste. Heute steht er in Athen vor der Akropolis und schimpft, weil Kutulas die Linse auf den Gehstock richtet. Es mag Menschen geben, die Theodorakis als historische Figur betrachten, als Marxisten der Musikgeschichte, der den Osten heimsuchte, wenn eine Solidaritätskundgebung anberaumt war, und im Westen mit Anthony Quinn den „Sorbas“ auf der Freilichtbühne tanzte. 1985 schrieb Wolf Biermann in „Konkret“: „Ich liebe seine Lieder und bin froh, wenn ich sie nicht hören muss.“
Man kann sich bei Karl Marx durchaus die Frage stellen, was von seinen Werken bleibt, wenn der Kapitalismus sie sich einfach einverleibt wie alles andere, was das System infrage stellen könnte. So wie man Theodorakis im Film sieht, wie er 2012 im Rollstuhl gegen die durch die EU verhängten Sparauflagen demonstriert und sich dabei im Tränengas die Atemwege ruiniert. Während er an der Welt verzweifelt, tanzt ein Mann in einem leeren Laden in Berlin den „Sorbas“ wie ein Breakdancer. Der Film zeigt die Vergeblichkeit, der sich der Revolutionär der Gegenwart bewusst sein sollte. Asteris Kutulas nennt es selbst „eine Komödie“.
Asyl am Alexanderplatz
Die Geschichte hinter der Komödie ist nicht lustig: Als Theodorakis 18 war, kämpfte er mit den Partisanen gegen die Faschisten, er kämpfte als Kommunist gegen die Königstreuen, die ihn einsperrten und folterten, er floh zum Studium nach Paris und wurde Komponist, er kehrte heim, das Militär errichtete die Diktatur in Griechenland, wiederum Haft und Folter, wieder nach Paris und wieder Heimkehr, 1974 trat er im Panathinaiko-Stadion von Athen auf, wo 2015 für die Rettung des bankrotten Staates durch die Europäische Union gestimmt wurde. Er war dagegen. „Er macht immer Politik“, sagt Nana Mouskouri über Theodorakis. „Auch wenn er Musik macht.“
Asteris Kutulas nennt ihn „einen geistigen Anarchisten“ und kann das mit seiner Filmkomödie auch beweisen. Zwischen seinen Videoaufnahmen und Zeitbildern von deutschen Panzern, griechischen Geschwadern und vermummten Demonstranten zeigt er Ausschnitte des Lebenswerks in heiteren Inszenierungen. „Asylum“ auf dem Alexanderplatz und in der S-Bahn zwischen Ost- und West-Berlin. „Medea“ als moderner Hochzeitsreigen in zahlreichen Aufzügen, am Ende tanzt das Paar mit roten Nelken um einen sowjetrussischen Schützenpanzer. Rapper rappen Kampflieder. Zu Remixes der Folkhits wiegen sich Korallen aus Kinderknete.
Und dann sitzt Theodorakis rauchend da und sagt: Wasser sei ihm als Element immer zu nass gewesen. In der Erde habe er die Würmer nie gemocht. Sein Element sei das Unendliche, die Luft, wo er das größte Unrecht, das dem Menschen widerfahren sei, empfinden könne: Er könne nicht fliegen.
Darauf läuft alles von rechts bis links hinaus: Der Mensch wird nie so sein, wie ihn sich Mikis Theodorakis, der marxistische Methusalem, als musikalische Figur erschaffen hat. Mikis, der Mensch, breitet die Arme, als wollte er fliegen oder tanzen, und sagt: „Ich bin frei.“
Michael Pilz, Die Welt
(Making of photo with Sandra von Ruffin (Marina) & Stathis Papadopoulos (Akar) by © Stella Kalafati/ Asti Music)
Kommentar verfassen