„Collage, Kunst & Emotion“ – Interview mit Asteris Kutulas von Eva Kekou (toperiodiko.gr)

// Interview von Eva Kekou mit dem Regisseur und Autor Asteris Kutulas zum Film „Dance Fight Love Die – With Mikis on the Road“ //

Eva Kekou: In welcher Beziehung steht dein neuer Film zu „Recycling Medea“, deinem vorherigen Film?

Asteris Kutulas: „Recycling Medea“ ist ein hybrider Ballettfilm über Medea – eine Mutter, die ihre beiden Söhne tötet. Auch in diesem Film stammt die Musik von Mikis Theodorakis. Das Ballett ist von Renato Zanella choreografiert und die Medea von Maria Kousouni getanzt worden. Die Proben und die Aufführungen im Theater haben wir 2011 und 2012 gefilmt. Ich habe aber dann unsere Kameras aus dem Theater auf die Straße gerichtet, wo ein ähnlicher „Tanz“ stattfand – zwischen vermummten Polizisten und vermummten Jugendlichen. Auf der Theaterbühne tötet eine Mutter ihre Kinder, auf der Straße tötet eine Gesellschaft ihre „Kinder“. Die Idee, diese beiden Ebenen in Beziehung zueinander zu setzen und beide Realitäten als „Tanz“, als eine „Choreographie gewaltsamer Auseinandersetzungen“ anzusehen, kam von Ina Kutulas, der Ko-Autorin des Films, mit der ich auch „Dance Fight Love Die“ gemacht habe. Nach dem sehr melancholischen Ballettfilm „Recycling Medea“ (2014) haben wir jetzt mit „Dance Fight Love Die“ (2018) zugleich unseren zweiten Film der „Thanatos Tetralogy“ realisiert. Die Filme „Electra“ und „Antigone“ sollen noch folgen.

Kekou: Wir würdest du deinen neuen Film charakterisieren?

Kutulas: „Dance Fight Love Die“ ist ein eigenwilliges Porträt eines eigenwilligen Künstlers. Insofern passt der Film ganz gut zum anarchischen Geist von Mikis Theodorakis, also zu diesem modernen griechischen Mozart, der sich kaum nach Konventionen richtet, der unaufhörlich Musik hervorbringt und der in sich selbst ein Kunst-Phänomen ist – ein Konglomerat aus Poesie, Musik, Philosophie, Kunst, Geschichte und Politik. Jeder, der den Film sieht, versteht sofort, was ich damit meine.

Ina und ich – als Ko-Autoren und Ko-Produzenten – realisierten diesen Film als Ausdruck unserer künstlerischen Freiheit. Wir haben ein Film-„Gedicht“ kreiert, ohne Rücksicht auf filmästhetische Vorgaben. Trotzdem ist es ein sehr strukturierter und streng dramaturgisch aufgebauter Film geworden – auch wenn einem das vielleicht beim Betrachten nicht bewusst wird.

Kekou: Welchem Filmgenre würdest du deinen Film zuordnen?

Kutulas: Ich suchte schon im Vorfeld von „With Mikis on the Road“ nach vergleichbaren Filmen, konnte jedoch keinen finden. Und jetzt, da der Film in den Kinos läuft, sagen sehr viele Zuschauer, aber auch Kritiker, dass sie einen solchen Film noch nicht gesehen haben. Es ist sicherlich ein Musikfilm. Und es ist zugleich eine Dokufiction, da ich neben dem dokumentarischen Material auch 10 Spielfilm-Szenen in der Stummfilmtradition produziert und in den Film implementiert habe. Auf einer anderen Ebene ist es ein assoziativer Essayfilm. Auf jeden Fall ein Roadmovie. Vielleicht auch ein „spannender Experimentalfilm“, der 60 kurze Geschichten auf 60 unterschiedliche Musiken erzählt. Trotzdem fällt er nicht auseinander. Vielleicht ist der Film auch eine „avantgardistische Hülle“ mit emotionalem Inhalt und teilweise bizarr-surrealen und komischen Szenen. Oder eine Künstlerbiografie, die eine Antwort auf die Frage zu geben versucht: Was ist Kunst? … Such Dir etwas davon aus! Es stimmt irgendwie alles.

Kekou: Wie ist das Material zu diesem Film entstanden? Du hast ja dafür u.a. private und Dokumentarfilmaufnahmen aus drei Jahrzehnten (von 1987 bis 2017) benutzt.

Kutulas: Es gehörte damals in der DDR, in den achtziger Jahren für uns dazu, Gedichte zu schreiben, Lyrik und Prosa zu übersetzen, sehr viele Bücher zu lesen, zu fotografieren, zu debattieren oder zu filmen. Das war Ausdruck unserer geistigen Freiheit in einem sehr beengenden System. Mit uns meine ich Ina, meine Frau, und mich und vor allem viele Dichter- und Malerfreunde um uns herum. Nach Josef Beuys war ja jeder Mensch ein Künstler.

Während wir in diesem Umfeld sehr aktiv waren, machte mir Mikis plötzlich Mitte der achtziger Jahre das Angebot, bei allen Projekten und Produktionen, die wir für die Zukunft geplant hatten, die Kamera laufen zu lassen. Ich tat das allerdings als Amateur mit schlechten, billigen Kameras. Der Ton war katastrophal. Mir war damals überhaupt nicht bewusst, was für einen historischen Wert diese Aufnahmen mal bekommen würden – und sei es nur für uns selbst. Ich bin da oft eher spielerisch herangegangen, filmte zum Spaß. Für mich war das eine Abwechslung zur ganz anders gearteten organisatorischen Arbeit, wenn ich Theodorakis bei seinen Tourneen etc. begleitete. Mikis war es seit Jahrzehnten ohnehin gewohnt, dass jemand fotografierte oder filmte.

Während der Arbeit an unserem Film „Recycling Medea“ zwischen 2011 und 2014 kam Ina dann auf die Idee, auch aus diesem Material einen Film zu machen, und so begann eine der kreativsten und schönsten Phasen unseres Lebens, mit hunderten Melodien, Gedichten, Geschichten, täglich durchdrungen von einer pulsierenden künstlerischen Energie. Das Ergebnis: „With Mikis on the Road“.

Kekou: Wie ist dieser Film entstanden? Wie ist es zu dieser charakteristischen Struktur dieses Films gekommen?

Kutulas: Zunächst stellte sich mir die Frage, wie ich mit dieser Materialmenge umgehen sollte. Immerhin 600 Stunden. Wer „Recycling Medea“ (2014) gesehen hat, weiß, dass ich mich da erstmals für eine hybride Filmform entschieden hatte. Für mich persönlich gibt es im Hinblick auf meine Filme die Notwendigkeit mehrerer Ebenen. Mit Ina, die ein starkes Interesse an Collagen-Kunst hat, bin ich da auf einer Wellenlänge. Unsere Filme sind keine Dokumentationen, sondern Kunstwerke an sich. Historisches Filmmaterial ist Dokument, aber es ist eben auch Bildmaterial. Darum benutze ich das Material auch oft „graphisch“ – Film ist ja eine visuelle Kunst.

Emotionales Hauptgestaltungsmittel dieses Filmes ist die Musik, also der Soundtrack. Aber auch meine Zusammenarbeit mit Filmemachern mehrerer Generationen – das hat diesen Film stark geprägt. Das ist Theodorakis adäquat, der über Jahrzehnte ein Mehr-Generationen-Publikum ansprach, und das ist etwas, wozu ich schon immer eine starke Affinität hatte. Sandra von Ruffin, Stathis Papadopoulos, Cleopatra Dimitriou, Jannis Sakaridis, Michalis Geranios, Dimitris Argyriou, Achilleas Gatsopoulos, Stella Kalafati, Marcia Tzivara, Zoe Chressanthis, Vassilis Dimitriadis – wir haben mit jungen Filmemachern zusammengearbeitet und die Ästhetiken gemischt.

Kekou: Wie ist der Film bis jetzt gelaufen? Wie war die Resonanz?

Kutulas: Wir hatten das unbeschreibliche Glück, 2017 zum für den deutschen Film wichtigsten Festival eingeladen zu werden, zu den Hofer Filmfesttagen, und dort die Weltpremiere unseres Films zu feiern. Daraufhin bekam ich einen Anruf von Peter Stockhaus vom DÉJÀ-VU Filmverleih, der mir am Telefon sagte, er wolle den Film unbedingt in die Kinos im deutschsprachigen Raum bringen. Und so reist der Film seit Mai 2018 in verschiedene deutsche Städte, nach Österreich und in die Schweiz. Ich glaube, es gab bisher mehr als 250 Screenings. Was die Rezensionen und die Kritiken anbelangt, so sind wir überwältigt davon, dass so viele Beiträge zum Film geschrieben wurden und dass der Film fast ausnahmslos positiv aufgenommen wurde. Angefangen bei der Süddeutschen Zeitung über die Welt bis hin zur FAZ und zu den 10 wichtigsten Filmkritik-Sites … Der Film wurde schon sehr oft besprochen.

Kekou: Was kommt als nächstes?

Kutulas: Nach dem Erfolg von „With Mikis on the Road“ in Deutschland hat mir der Verleiher erklärt, 2020 auch „Recycling Medea“, unseren ersten Musikfilm, in die deutschsprachigen Arthouse-Kinos bringen zu wollen. Außerdem arbeiten wir jetzt, an „Electra“, dem dritten Film der „Thanatos Tetralogy“.

(In Auszügen veröffentlicht in der griechischen Zeitschrift To Perodiko am 26.10.2018)

(Making of photo with Sandra von Ruffin (Marina) & Stathis Papadopoulos (Akar) by © Stella Kalafati/ Asti Music)

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